FOTOGRAFIEREN AN BEKANNTEN LOCATIONS: JA ODER NEIN?
- Markus Albert

- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 3 Tagen

Diese Frage begleitet vermutlich jede:n von uns, der ernsthaft Landschaften
fotografiert. Orte wie die Drei Zinnen und Seceda in den Dolomiten oder Kirkjufell auf Island sind millionenfach abgelichtet. Braucht es da wirklich noch ein weiteres Bild – oder ist das nur Jagd nach der nächsten Postkartenkopie?
Für mich entscheidet nicht der GPS‑Punkt über den Wert eines Fotos, sondern der Moment. Licht, Wetter und Stimmung formen letztlich das Motiv. Mein Bild von den Drei Zinnen (siehe unten), das es unter die Top 101 beim International Landscape Photographer of the Year 2025 geschafft hat, zeigt die wohl klassischste Perspektive überhaupt – und viele Fotografen, die das Motiv schon fotografiert haben, kennen den Standpunkt.

Der Unterschied an diesem Herbsttag im Jahr 2024 lag in den Bedingungen: Ein Sonnenuntergang mit hereinkriechenden Nebelbänken, inklusive Komet Tsuchinshan-Atlas genau über den Zinnen. Dieselbe Komposition ohne diese Atmosphäre wäre nur „noch ein Drei‑Zinnen‑Foto“ geworden – mit ihr entstand etwas Eigenes. Genau darin liegt das Potenzial bekannter Spots. Berühmte Orte sind nicht automatisch verbraucht – sie sind nur bei „Standardlicht“ verbraucht. Je ikonischer der Standort, desto wichtiger ist es, nicht nur nach der Komposition, sondern vor allem nach dem Charakter des Moments zu suchen: Sturmfronten statt blauem Himmel, Nebel statt Fernsicht, Seitenlicht statt Sonnenuntergang genau hinter dem Hauptmotiv. Oft ist es der besondere Moment, der einen totfotografierten Platz neu auferstehen lässt. Das bestätigen auch die Resultate von Foto-Awards, in denen ikonische Locations immer wieder auftauchen.
Es gilt: Light over Location
Deshalb lautet mein Tipp: Gebt nicht der Versuchung nach, die Location "um jeden Preis" und unter ganz gleich welchen Bedingungen fotografieren zu wollen! Das Licht stimmt nicht? Dann sei flexibel und suche nach Alternativen (idealerweise hast du das Wetter schon am Tag vorher genau beobachtet). Es hat keinen Zweck, nur der Location wegen an einem Shooting-Plan festzuhalten. Erfahrene Fotolehrer wissen das und wechseln deshalb mit ihrer Workshop-Gruppe die geplante Location, wenn Wetter und Licht nicht stimmen.
Das Bild machst du
Die zweite Stellschraube bist du selbst. An bekannten Plätzen fällt besonders auf, ob du bloß abfotografierst oder interpretierst. Gehst du wirklich ins Bild hinein – beobachtest Details, Schichtungen, Gegenlichtsituationen, kleine Verschiebungen des Standpunkts? Oder stellst du das Stativ dort auf, wo die anderen Stative stehen? Wer bereit ist, sich zu lösen, findet auch am ikonischen Spot noch eigene Ausschnitte: Kompression mit dem Teleobjektiv, Reduktion auf Linien und Formen – oder bewusst leere Bereiche im Bild, die Ruhe statt Spektakel ausstrahlen.
Das soll natürlich nicht heißen, dass wir ab jetzt nur noch ikonische Plätze fotografieren. Unbekannte Ecken bieten Freiheit, weniger Vergleich und oft mehr Raum für Experimente. Aber die Alternative zu „Hotspot-Tourismus“ ist nicht, bekannte Orte zu meiden, sondern bewusster mit ihnen umzugehen. Eine konstruktive Haltung könnte lauten: „Dieser Ort ist bekannt – aber dieser Moment und mein Blick darauf sind es nicht.“ Und auch, wenn trotz aller Mühe mal kein gutes Bild entsteht – auch das gehört zum Fotografieren dazu.
Fazit
Am Ende lautet meine Antwort: Ja, fotografieren an bekannten Plätzen kann absolut sinnvoll sein. Nicht, weil der Ort Ruhm verspricht, sondern weil er eine Bühne ist, auf der du deine eigene Bildsprache, deine Geduld und dein Gespür für Licht unter Beweis stellen kannst. Das Motiv ist dann nicht mehr „die Sehenswürdigkeit“, sondern die Begegnung zwischen dir, diesem Ort und genau diesem unwiederholbaren Moment.
Viel Spaß weiterhin beim Fotografieren!


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